Normalerweise wäre der Titel „Ein Haufen Mist“ negativ besetzt. Ich könnte jetzt jammern über das mistige Corona-Jahr das uns alle betroffen hat, aber in diesem Fall ist „ein Haufen Mist“ etwas ganz Tolles.
Wir graben jetzt seit mehr als einer Woche in der neolithischen Pfahlbausiedlung Mooswinkel (3800-3400 v. Chr.) und versuchen die prähistorischen Schichten im nördlichen Grabungsschnitt bis zur Geologie, also den natürlich gewachsenen Boden abzutragen. Da wir bereits 2019 in dieser Fläche gegraben haben kommen wir nun bereits zur ältesten Kulturschicht und dem Beginn der Siedlungstätigkeit. Diese Ablagerung datiert in das frühe bis mittlere 37. Jahrhundert vor Christus und ist demnach fast 6000 Jahre alt.
Ja, und aus was besteht diese Schicht? Genau, hauptsächlich Mist!
Es ist ein braunes Sediment in dem sich viele Fäkalienreste befinden, aber wenige andere Funde. Keramik und Steinartefakte sucht man meist vergeblich, dafür ist von Ziegenkot bis Kuhfladen und vielleicht sogar menschlichen Koprolithen alles dabei. Ob die „Produzenten“ Menschen oder Tiere waren, vor allem die Unterscheidung von Menschen- und Hundekot, kann nur mit parasitologischen Untersuchungen und DNS-Analysen bestimmt werden.[1]
An der Oberfläche dieser Kulturschicht befinden sich eine Vielzahl an kleinen Ästen. Dabei dürfte es sich um eine Art Stalleinlage handeln, vielleicht ist es sogar ein Nachweis von Winterfutter. Im Neolithikum war die Grünlandschaft um den Mondsee mit ihren zahlreichen Weiden, wie wir sie heute kennen, noch nicht vorhanden und damit auch die Produktion von Heu als Winterfutter unbekannt. Als Winterfutter wurde Laubheu oder immergrüne Pflanzen wie Mistel, Efeu und Tanne verwendet. In anderen Pfahlbausiedlungen aus dem deutschen und Schweizer Raum gibt es auch Hinweise auf Schneitelung. Das bedeutet, dass Bäume zurückgeschnitten wurden um Triebe und Blätter als Tierfutter oder Einstreu zu gewinnen.[2] Unsere Ästchen-Schicht könnte demnach ein Nachweis für Schneitelwirtschaft in der Pfahlbausiedlung Mooswinkel sein.
Wir entnehmen diverse Proben dieser Ablagerung und versuchen im Labor mehr darüber heraus zu finden. Das gilt auch für die Fäkalien selbst. Diese werden als Funde aufgenommen und zur weiteren Untersuchung aufbewahrt. Es gibt nämlich eine Reihe spannender Dinge, welche an Koprolithen analysiert werden können.
An einem solchen Fundstück aus den Zeitensprung-Grabungen (2016 und 2017) in Weyregg II am Attersee konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass Rinder im Winter in der Pfahlbausiedlung lebten. Das Pflanzenmaterial innerhalb der Probe war zum Teil sehr stark zerkleinert, was den Schluss nahelegt, dass es dem Magen-Darm-Trakt eines Wiederkäuers passierte. Reste von immergrünen Gehölzen, wie Weißtanne, Mistel und Efeu sind als Pollen und Blattreste im Koprolithen erhalten und belegen die Praktizierung von Winterfütterung. Das lässt darauf schließen, dass die Pfahlbausiedlung in Weyregg nicht nur saisonal im Sommer genutzt wurde, sondern auch im Winter bewohnt war. Diverse Parasiten im Kot lassen wiederum Rückschlüsse auf Hygienestandards innerhalb der Siedlung zu und zeigen unter welchen Krankheiten die Tiere gelitten haben.
Es zeigt sich also, dass ein Haufen Mist eine unglaublich spannende Fundgrube aus der Urgeschichte ist und uns viel über das damalige Leben der Pfahlbauer*innen erzählen kann. Wir graben also weiter und holen jede Menge Proben heraus, welche auch das Herz unserer Archäobotaniker*innen, Parasitolog*innen und dergleichen in die Höhe schlagen lässt. Mist kann also durchaus was ganz Tolles sein.
[1] Le Bailly M., Leuzinger U., Schlichtherle H. „Kulturschichten“: Von Strandmist und nicht wirklich stillen Örtchen; In: 4.000 Jahre Pfahlbauten. Ausstellungskatalog zur großen Landesausstellung in Baden-Württemberg, 2016, 146-149.
[2] Wick L. Und was fraßen die Haustiere? Pollen im Tierdung; In: 4.000 Jahre Pfahlbauten. Ausstellungskatalog zur großen Landesausstellung in Baden-Württemberg, 2016, 340.
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