„Die zweite Unterwassergrabung im Forschungsprojekt Zeitensprung mit einem mittlerweile eingespielten Team wird einfacher werden“ dachte ich als Grabungsleiter. Dieses Projekt startete 2015 in Seewalchen und soll im Vorfeld der Landesausstellung Pfahlbauten 2020 dazu beitragen, die Seeufersiedlungen im Mondsee und Attersee besser zu verstehen. Im letzten Jahr musste bei der Pilotgrabung in Seewalchen am Attersee vieles neu erfunden oder zu mindestens neu eingerichtet werden. Heuer suchten wir uns eine vielversprechende Stelle für die Grabungsfläche in der Gemeinde Weyregg am Attersee aus und starteten gut vorbereitet in die zweite Grabungskampagne. Aber: Jede Grabung ist natürlich anders als die vorhergehende. Es ist nicht einfacher, sondern anspruchsvoller geworden.
Dabei sind wir durch die Gemeinde Weyregg nicht weniger herzlich willkommenen geheißen worden als damals in Seewalchen. Wir konnten unsere Forschungsbasis im Strandbad Weyregg einrichten und hatten jederzeit hilfsbereite Ansprechpartner im Amt und bei den Gemeindemitarbeitern. Auch direkt vor unserer Grabungsstelle beim Steinwandeck erfuhren wir große Unterstützung und konnten z.B. einen Stromanschluss vor Ort auf Privatgeländeaufstellen lassen. Unser Team setzte sich größtenteils aus erfahrenen TaucherInnen, Konservatorinnen und PraktikantInnen zusammen, die auch schon im letzten Jahr dabei waren. Aber auch neue KollegInnen integrierten sich sehr gut, darunter eine sogenannte Bürgerwissenschaftlerin (Citizen Scientist) aus Weyregg.
Neu war dagegen das Arbeiten von unserem Forschungsboot aus. Drei EinsatztaucherInnen und ein Bootsführer brauchten nur ca. 7 Minuten, um die eigentliche Grabungsstelle zu erreichen und konnten dann von dieser sicheren Basis aus mit der Arbeit unter Wasser beginnen. Die ForschungstaucherInnen waren durch unser neues Kommunikationssystem Buddy Phone sowohl untereinander als auch mit dem Bootsführer verbunden. Zusammen mit den neuen Vollgesichtsmasken, die über Sprechfunk verfügen, erhöhte dies die Sicherheit entscheidend. Es erzeugte oft ein ganz neues Tauchgefühl, wenn man plötzlich mit seinen KollegInnen unter Wasser reden konnte.
Das Einrichten der Grabungsstelle unter Wasser war heuer deutlich aufwendiger als letztes Jahr: den 6 x 12 m großen Grabungsschnitt ausstecken, verschiedene Ankerbojen setzten, die sechs Schläuche mit der Pumpe, den Verteiler und den jeweils drei Strahlrohren und „water dredges“ verbinden. Zusätzlich mussten wir dreimal die für die Grabung wesentliche Pumpe wechseln, bis wir mit der Leistung zufrieden sein konnten. Bei einer „Landgrabung“ wird normalerweise der Oberbodenabtrag durch einen Bagger vorgenommen. Unsere TaucherInnen mussten per Hand und „water dredge“ den Bewuchs sowie die obersten, schlickigen Deckschichten beseitigen.
Dann wurde es aber spannend: Die ersten Pfahlköpfe tauchten auf. Sie waren eingebettet in eine braune Kulturschicht, die sich hauptsächlich aus feinem Pflanzenmaterial der damaligen Zeit zusammensetzt. Darin fand sich „Weggeworfenes und Verlorenes“ der Dorfbewohner von vor fast 6000 Jahren: Scherben von Keramik, Feuersteinabschläge aber auch ganze Werkzeuge aus Silex wie verschiedene Pfeilspitzen sowie ein Steinbeil. Zu den besonderen, anorganischen Funden zählen einige Bruchstücke von Markasitknollen, die wohl als Feuerzeug benutzt worden waren sowie ein Gußlöffel, an dem noch Metallreste haften. Dieser Gußlöffel belegt damit für die Seeufersiedlung Weyregg II die Verarbeitung von Metall (höchstwahrscheinlich Kupfer, aber die Analysen stehen noch aus). Um planmäßig sowohl die Grabungsfläche als auch das Umfeld nach Metall absuchen zu können, starteten wir eine Kooperation mit dem NGÖ (Netzwerk Geschichte Österreich). Ein erfahrener Taucher dieses Vereins, in dem Geschichtsinteressierte gemeinsam mit WissenschaftlerInnen die Geschichte Österreichs erforschen, begleitete uns mehrere Tage. Christoph unterstützte uns mit seinem Metalldetektor und gab uns zahlreiche Tipps. Zwar sind bislang keine weiteren Metallfunde herausgekommen, aber die Zusammenarbeit funktionierte wirklich hervorragend.
Aber auch unter den organischen Funden, die sich unter Wasser und Sedimentabdeckung so gut erhalten hatten, gab es einige Highlights: dicke Schichten von Haselnussschalen bedeckten oft den Boden, in dem auch ein Teil einer Holzschale steckte. Genauer musste man hinschauen, wenn man kleinste Reste von Bastschnüren oder sogar Textilien entdecken wollte. Den ForschungstaucherInnen gelang es! In einem Teil des Grabungsschnittes hatte sich eine ganze Lage von wohl umgestürzten Rundhölzern von bis zu zwei Metern Länge erhalten. All diese empfindlichen Funde wurden durch Restauratorinnen vor Ort erstversorgt und befinden sich jetzt im Kulturgutrettungscontainer am Oberösterreichischen Landesmuseum in Linz.
Insgesamt war der Schichtenverlauf, also die Stratigrafie, nicht einfach zu verfolgen. Auch deswegen wurde jede Kleinigkeit penibel dokumentiert. Hunderte Fotos, Videoaufnahmen und Skizzen ergänzten die eigenen Beobachtungen. Wie auch letztes Jahr unterstütze uns wieder die Firma crazy eye aus Wien mit ihrem Know-how bei der Erstellung von Orthofotos und 3D-Modellen. Jede Dokumentationsoberfläche konnte so wirklich hoch präzise abgebildet werden.
All dies brauchte natürlich Zeit. Am Ende der zweiten Grabungswoche befanden wir uns noch immer in der ersten Kulturschicht und eine zweite, darunterliegende wartete noch auf uns. Glücklicherweise sind unsere Forschungen in Weyregg keine Rettungsgrabung während eines Bauvorhabens, wo man alle archäologischen Schichten herausholen muss, bevor sie weggebaggert werden. Wir führen eine Forschungsgrabung durch – eine der ganz wenigen in Österreich. Es geht uns darum, aus dem Bodenarchiv so viele Informationen wie möglich heraus zu holen. Weyregg haben wir genau deshalb auch ausgesucht, weil schon im Vorfeld klar war, dass wir hier aus dem Vollen würden schöpfen können. Auch 2017 werden wir also an dieser Stelle graben.
So konnten wir uns darauf konzentrieren, diese spannenden Funde und Befunde gut zu erfassen und noch zahlreiche Proben für naturwissenschaftliche Untersuchungen zu entnehmen. Auch in diesem Jahr wurden unter anderem mehrere Bohrkerne entnommen, um z.B. botanische Makroreste oder Pollen untersuchen zu können. Die archäologische Grabung allein beantwortet ja keineswegs alle offenen Fragen. Was für Pflanzenreste kamen vor, und was kann man daraus für das Lebensumfeld dieser Seeufersiedlung ableiten? Warum stand dieses Dorf eigentlich am steilen Hang des Wachtberges? Wie genau datieren die zwei verschiedenen Kulturschichten?
Da wir verzierte Keramik der Mondsee-Gruppe fanden, war uns schnell klar, dass schon diese oberste Kulturschicht jungsteinzeitlich, genauer in die Zeit von ca. 3800 bis 3500 v. Chr. datiert. Eigentlich hatten wir anfangs gehofft, noch Überreste einer eventuellen bronzezeitlichen Siedlung zu finden. Anderseits ist es natürlich immens wichtig, endlich genau datiertes Material aus verschiedenen jungsteinzeitlichen Siedlungsperioden zu erhalten. Schließlich erwartet uns unter der „Mondsee-Kulturschicht“ noch eine darunterliegende, also ältere Kulturschicht unbekannter Zeit. Ich bin wirklich gespannt, was die nächste Grabungskampagne im April 2017 bringen wird.
Neuen Kommentar schreiben