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Mooswinkel 2019 - He, ist das nicht ein Apfel!?

18. April 2019

Auch wenn das erst die zweite Grabungskampagne hier ist, scheint es sich bei unseren Forschungsgrabungen in Mooswinkel bereits als eine Art „Tradition“ zu etablieren, dass oft schon in der ersten Grabungswoche die spektakulärsten Fundstücke zutage kommen. Letztes Jahr, im Mai 2018, hat Henrik Pohl, die eine Hälfte unseres GrabungsleiterInnen-Zweiergespanns, bereits in der ersten Grabungswoche ein Ganzgefäß geborgen. Und dieses Jahr – nun, das möchte ich jetzt ein bisschen genauer berichten…

Also, die Szene: Dienstag, der 2.4.2019. Der zweite Grabungstag. Nachmittag. Samuel und ich schlämmen mit schnell erkaltenden Händen, aber trotzdem fröhlich, weil bei strahlendem Sonnenschein, vor dem Institutsgebäude des Bundesamtes für Wasserwirtschaft die ersten Schlämmsäcke der Grabungskampagne.

Die Schlämmsäcke werden dieses Jahr von uns vor Ort nur grob „durchgewaschen“, um Sediment und Seekreide zu entfernen. Alle größeren Fundstücke, vor allem Keramik und Hüttenlehm, werden aussortiert, während das restliche Schlämmgut wieder verpackt und zusammen mit den Funden nach Leonding ins Depot des OÖ Landesmuseums gebracht wird. Dort wird der Inhalt der Schlämmsäcke von unseren Restauratorinnen Heike Rührig und Susanne Heimel gefriergetrocknet und wird im Anschluss an die Grabungskampagne von unserem Kollegen in der Fundverwaltung, Florian Ostrowski, noch einmal genau durchgesucht werden. Versuche haben nämlich ergeben, dass das Schlämmmaterial im gefriergetrockneten Zustand deutlich leichter zu durchsuchen ist als im nassen Zustand – während man an einem besonders vollen Schlämmsack im nassen Zustand schon mal bis zu vier Tage arbeitet, bis alles durchgeschaut ist, braucht der selbe Prozess im gefriergetrockneten Zustand auf einmal nur noch wenige Stunden.

Samuel und ich waschen also an diesem besagten Tag die Schlämmsäcke durch, sortieren Keramik, Hüttenlehm und andere Funde, die uns bereits bei diesem gröberen Arbeitsgang ins Auge springen, raus, und verpacken anschließend alles wieder für den Weitertransport. In meinem Schlämmsack, dem schicksalsträchtigen Schlämmsack Nr. 164, befinden sich neben der üblichen, groben Gebrauchskeramik und einigen größeren Knochenfragmenten auch mehrere relativ große Holzkohlestücke. Die tue ich auch gleich raus, denke ich mir. Das erste Holzkohlestück landet in einem mit etwas Wasser gefüllten Plastiktazerl, das zweite folgt sogleich. Beim dritten halte ich inne. Holzkohlestücke sind zwar in Form und Größe oft sehr unterschiedlich, aber normalerweise immer leicht als das zu identifizieren, was sie sind: verkohltes Holz, wie man es auch aus jedem Lagerfeuer kennt. Aber dieses Stück ist seltsam rundlich und die typische Holzstruktur scheint zu fehlen. Ich schiebe mir die Brille weiter die Nase rauf (rutscht immer runter) und halte mir das kleine, schwarz-graue Objekt näher vor die Augen. Tatsächlich, sehr rundlich, fast halbkugelförmig. Die Ränder der Halbkugel sind leicht gewellt und aufgebogen, fast wie bei einem verschrumpelten… Und in der Mitte, schön parallel zueinander, sind zwei kleine, ovale Löcher, die mich von der Form her stark an diese kleinen, schwarzen Kerne erinnern, von denen wir schon im letzten Jahr so viele aussortiert haben… Ist das nicht…? Könnte das tatsächlich sein…?

Zögernd, um nicht zu schnell in vielleicht sinnlose Vorfreude zu verfallen, zeige ich das kleine, verkohlte Ding Samuel. „Nach was sieht das für dich aus?“, frage ich ihn. Schweigen. Dann Samuel, ebenfalls zögerlich: „Ist das nicht ein Apfel?“

Ja! Ja, ja, ja, ja, jaaa! Nachdem wir uns durch unsere identen Vermutungen nun bestätigt fühlen und diese Vermutungen im Laufe des Tages durch unsere GrabungsleiterInnen Helena und Henrik, durch unsere ForschungstaucherInnen und unseren Bootsführer Michael nur noch weiter bestätigt werden, ist die Freude riesengroß. Verkohlte Apfelreste! Verkohlte Apfelreste, wie man sie als jungeR ArchäologIn sonst nur aus dem Museum oder von Vorlesungsfolien zur Pfahlbaustation See am Mondsee kennt, hier in unseren Schlämmsäcken, bei unserer Grabung in Mooswinkel!

Man/Frau fragt sich jetzt vielleicht, warum ich von „Apfelresten“ im Plural schreibe. Nun, es ist nicht bei diesem einen geblieben. Noch im selben Schlämmsack fanden sich vier weitere verkohlte Apfelteile, und auch in den nächsten Tagen kamen in mehreren Schlämmsäcken immer wieder welche zum Vorschein. Insgesamt konnten wir bisher nun schon 15 bis 20 Stück bergen. Sie stammen sowohl aus den obersten Deckschichten als auch aus den in-situ Kulturschichten und sind allesamt äußerst gut erhalten.

Diese verkohlten Apfelreste sind eine glorreiche Entdeckung, für uns als Fundverwaltungsteam und für das Grabungsteam als Ganzes. Sie werfen aber auch viele neue Fragen auf. Und was man als ArchäologIn immer liebt, ist zu versuchen, Antworten auf Fragen zu finden, Theorien aufzustellen, versuchen, (sich) Vorgänge zu erklären.

Dass die BewohnerInnen der Pfahlbausiedlung Mooswinkel offenbar gerne Äpfel verspeisten, wussten wir bereits durch die zahlreichen Funde von Apfelkernen. Aber was waren das für Äpfel? Waren es Wildäpfel oder gab es bereits erste Kultivierungsversuche und Zuchtformen? Wie wurden die Äpfel gelagert? Wie wurden sie zubereitet und von wem? Waren sie ein Grundnahrungsmittel, ein Arme-Leute-Essen oder ein Luxusgut? Und wie kam es dazu, dass sie in verkohlter Form am Boden und letztendlich am Grund des Sees landeten? War dafür ein Missgeschick beim Kochen verantwortlich oder wurde die Siedlung irgendwann von einem größeren Brandereignis heimgesucht, infolge dessen die Äpfel verkohlten?

Fragen über Fragen. Aber Inspirationen für mögliche Antworten sind oft weniger weit weg, als man denkt. So hat Samuel beispielsweise schon an seinem ersten Grabungstag ein Glas voll selbst-gedörrter Apfelringe von zuhause als gesunden Snack für die Grabungsmannschaft mitgenommen. Äpfel in Scheiben schneiden und diese dann trocknen oder dörren – eine einfache, wirkungsvolle Methode, um das Obst länger haltbar zu machen und es dabei gleich in eine leicht lagerbare Form zu bringen. Durchaus vorstellbar, dass derartige Methoden auch von den Pfahlbau-Bewohnern angewandt wurden.

Florian hat vor einigen Tagen davon geschwärmt, wie gemütlich es bei diesem kühlen Wetter nicht wäre, am Abend ein Lagerfeuer anzuzünden und darüber Äpfel zu braten, vielleicht noch mit ein bisschen Honig glasiert. Und wieder derselbe Gedanke – das könnte doch genauso in Mooswinkel auch schon vor fast 6000 Jahren passiert sein! Und wenn dann vielleicht einmal eine Apfelhälfte nicht fest genug angespießt wurde und vom Stock ins Lagerfeuer fällt – dann ist das vielleicht genau dieser eine Moment, der die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet und uns verkohlte Apfelreste in unseren Schlämmsäcken beschert

Zugehöriges Projekt


Forschungen in den Seeufersiedlungen in Attersee und...

Doris Jetzinger studiert Urgeschichte und Historische Archäologie an der Universität Wien und ist seit 2016 im Projekt Zeitensprung in der Fundbearbeitung der Unterwasser-Ausgrabungen tätig.

Viele weitere verkohlte Apfelreste aus anderen Schlämmsäcken. (Bild: OÖLM - Kuratorium Pfahlbauten)
Viele weitere verkohlte Apfelreste aus anderen Schlämmsäcken. (Bild: OÖLM - Kuratorium Pfahlbauten)
Selbst gedörrte Apfelringe, die Samuel von zuhause für unser Team mitgebracht hat. (Bild: OÖLM - Kuratorium Pfahlbauten)
Selbst gedörrte Apfelringe, die Samuel von zuhause für unser Team mitgebracht hat. (Bild: OÖLM - Kuratorium Pfahlbauten)
In unserer Grabungsmannschaft werden gerne Äpfel genascht. Da erscheint es uns nur logisch, dass die BewohnerInnen der Pfahlbausiedlung Mooswinkel das genauso gehalten haben! (Bild: OÖLM - Kuratorium Pfahlbauten)
In unserer Grabungsmannschaft werden gerne Äpfel genascht. Da erscheint es uns nur logisch, dass die BewohnerInnen der Pfahlbausiedlung Mooswinkel das genauso gehalten haben! (Bild: OÖLM - Kuratorium Pfahlbauten)
Einer der ersten verkohlten Apfelreste, die in Schlämmsack Nr. 164 gefunden wurden. (Bild: OÖLM - Kuratorium Pfahlbauten)
Einer der ersten verkohlten Apfelreste, die in Schlämmsack Nr. 164 gefunden wurden. (Bild: OÖLM - Kuratorium Pfahlbauten)
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