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Dem Reiche der Toten und ihrer Erforschung - FFG Talentepraktikum 2022

26. Juli 2022

Wir nähern uns dem Ende. Anders als andere haben wir unseres noch nicht gefunden, aber thematisch bewegten wir uns letzte Woche vor Allem in diesem Bereich, dem Reich der Toten.

Doch begonnen hatte unsere Woche zwei Stockwerke weiter unten in unserer kleinen, gemütlichen Teeküche. Unser Praktikant:innenteam war jetzt vollständig besetzt. Eine kleine, aus unbeugsamen Jugendlichen bestehende Einheit ist aufgetaucht um der ohnehin nicht vorhandenen Langeweile in den Sommerferien Widerstand zu leisten. Mit anderen Worten, unser Team hat sich mal wieder vergrößert. Einerseits durch Anton, der extra aus Bayern angereist ist und eigentlich erwartet hatte, hier allein in den hohen Büroräumen umgeben von Jahrtausende alten Steinen im Computer herumtippen zu müssen. Stattdessen musste er uns die ganze Woche lang aushalten, aber wenigstens sind wir gesprächiger als die Steine. Andererseits war auch Lici aus der HTL-Spengergasse neu im Museum. Weil sie Corona hatte, durfte sie erst eine Woche später zu uns stoßen. Das hat sie allerdings nicht davon abgehalten, trotzdem schon von zu Hause mit ihren Animationen zu beginnen. Da saßen wir also am Montag früh zu zehnt im Besprechungsraum, als plötzlich noch ein unbekanntes Gesicht auftauchte. Im ersten Moment waren wir alle ein wenig verwirrt. Hatten wir jetzt doch den Überblick über unser Team verloren? Es stellte sich heraus, dass der unangekündigte Besucher ein Praktikant, namens Máté, von der Schule „Die Graphische“ ist. Er macht bei der Museumsfotografin Alice Schumacher ein Praktikum. Im NhM Wien machen nämlich mehrere Schüler:innen im Sommer Praktika, wie wir später noch bei den Führungen durch das Haus feststellten.

Kaum kam das Wort „Fotograf“ auf, leuchteten Karinas und Helenas Augen auf und in ihren Köpfen sammelten sich hunderte Ideenblitze, wie sie ihn in unser Programm einplanen könnten. Alice rettete ihn aber vor der Arbeitsflut und er wurde doch nicht in den Tiefspeicher verbannt, um dort Pfeilspitzen, Klopfsteine und sonstige urgeschichtliche Objekte zu fotografieren. Apropos Tiefspeicher, erinnert ihr euch, als wir in unserem vorherigen Blog geschrieben haben, dass wir hoffen, nicht fürs Zählen des Museumsinventars eingeteilt zu werden? Dieses Schicksal hat diese Woche Anton und Michael ereilt. Sie bekamen eine mysteriöse, alte Expeditionskiste aus einem Kellerabteil um die Funde daraus zu sortieren. Unerwarteterweise machte ihnen diese Aufgabe sogar Spaß und auch wir müssen zugeben, dass die Kiste ziemlich coole Dinge beinhaltete. Mehr dazu berichten aber Michael und Anton selbst in den nächsten Blogbeiträgen.

Nun zu unserer angekündigten Reise ins Reich der Toten. Am Nachmittag hatten wir eine Führung in der Anthropologieabteilung. Dort fanden wir überraschenderweise zwischen den vielen Skeletten auch neues Leben, nämlich noch mehr Praktikant:innen, die wir zuvor noch nicht gekannt hatten. Zwei von ihnen arbeiten sogar in dieser Abteilung und wir fanden sofort ein gemeinsames Gesprächsthema, nämlich die Popmusik aus dem Radio, die auch bei ihnen in den Büroräumen läuft. Übrigens ist es jetzt gerade bei uns ungewöhnlich still und es läuft keine Musik, weil die Sekretärin leider auf Urlaub ist. Wir vermissen natürlich nicht nur ihre Musik, sondern auch ihr fröhliches „guten Morgen“, wenn wir in der Früh ankommen. Der letzte unbekannte Praktikant war ein Junge aus der Insektenabteilung, bei dessen Namen wir uns noch immer unsicher sind und über den wir noch immer nicht mehr wissen, außer, dass er Ameisen mag.

Wie in jeder anderen Abteilung in der wir waren erkannte man auch diesmal sofort anhand der Deko, in welchem Bereich wir uns befanden. Andrea Stadlmayr, Anthropologin, erzählte uns, dass sie in ihrer Abteilung die menschliche Evolutionsgeschichte bearbeiten, wobei die meisten Skelettreste der Sammlung aus einem viel späteren Zeitraum stammen. Die Gründung der Abteilung erfolgte bereits 1876, eine Zeit in der die Anthropologie noch im Allgemeinen die „Wissenschaft vom Menschen“ umfasste. In verschiedenen Forschungsreisen und Expeditionen wurden Skelette, bevorzugt nur der menschliche Schädel, aus verschiedenen Regionen der Welt gesammelt, um eine Sammlung für wissenschaftliche Arbeiten aufzubauen. Warum nur der Schädel? Ganz einfach, vom menschlichen Skelett gibt der Schädel die meisten Informationen über den Menschen preis (Herkunft, Alter, Aussehen, etc.). Heute sind insgesamt 28.000 Skelette im NhM Wien inventarisiert und noch 10.000 weitere warten in uninventarisierten Schachteln auf ihre Bearbeitung. Bei vielen alten Schädeln, die im 19. Jahrhundert in die Sammlung des Museums aufgenommen wurden, ist es schwierig herauszufinden, woher sie kommen. Damals wurden nur sehr ungenaue Informationen festgehalten und jetzt weiß man bei vielen lediglich aus welchem geographischen Raum sie stammen.

Die Wissenschaftler:innen haben die Funde bei ihren Reisen einfach mitgenommen und heute werden sie nur zurückgegeben, wenn der Fundort feststeht und dass es lebende Nachfahr:innen gibt, die sich eine Bestattung wünschen. Deswegen bleibt der Großteil im Museum, wo sich ein Kasten voller Totenschädel an den nächsten reiht und ganze lange Gänge füllt. Das Fotografieren der Knochen ist nicht gern gesehen, weil es sich schließlich um Menschen handelt, deren letzte Ruhestätte nun das Museum ist. Der Umgang mit ihnen soll mit Respekt erfolgen. Darum werden die Knochen auch nicht mehr in den Schausälen ausgestellt. Im Saal 12 beispielsweise, wo die hallstattzeitlichen Gräber um das urgeschichtliche Salzbergwerk ausgestellt sind seht ihr nur Rekonstruktionen der menschlichen Knochen.

Neben den ganzen Totenköpfen, die überall herumstehen, wurden uns auch Säuglingsknochen gezeigt. Solche Funde kommen gar nicht so selten vor, weil die Kindersterblichkeit früher sehr hoch war. Bei Ausgrabungen einer Kirche wurden beispielsweise besonders viele Säuglinge und sogar Frühgeburten um die mittelalterlichen Mauerreste gefunden. Offenbar wurden diese Totgeburten bereits zur damaligen Zeit liebevoll und mit der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod hier vergraben.

An den Knochen können, abgesehen von einer möglichen Todesursache, noch einige andere Unannehmlichkeiten, die einem früher passieren konnten abgelesen werden. Andrea erzählte uns von einer ganzen Reihe an Krankheiten und Verletzungen die am Knochen Spuren hinterlassen. Auch frühere medizinische Behandlungsmethoden können nachgewiesen werden. Ein Beispiel dafür war ein mittelalterlicher Oberschenkelknochen, der gebrochen und wieder zusammengewachsen war. Bei einem solchen Bruch zieht der Oberschenkelmuskel so stark nach oben, dass die Knochen verschoben werden und an der Bruchstelle nebeneinander zusammenwachsen. Das Bein wurde offenbar geschient und dennoch musste das eine Bein dieses Menschen nach dem Bruch viel kürzer als das andere gewesen sein. Er humpelte damit für den Rest seines Lebens.

Und jetzt eine völlig schräge Geschichte: Wusstet ihr, dass es schon in der Steinzeit Schädeloperationen gegeben hat? An steinzeitlichen Schädelresten konnten Löcher entdeckt werden, die offenbar aus einem bestimmten Grund in den Kopf gebohrt wurden. Es handelt sich um keine Einschlagwunden oder dergleichen. Nein, fein säuberlich gebohrte Löcher. Wirklich beeindruckend ist allerdings, dass bei dem hergezeigten Exemplar der Knochen um das Loch herum Heilungsspuren aufweist. Der Mensch an dem diese Operation mit Steinbohrern praktiziert wurde hatte überlebt!

Für Laura war die Führung besonders spannend, weil sie ein Interesse an Medizin hat, aber auch für alle anderen, ob aus dem Fotolabor oder der Entomologie war es interessant. Wir sind gespannt was uns in den anderen Abteilungen des Hauses noch so erwartet.

Zugehöriges Projekt

Schüler:innen verschiedener Schultypen und...

Mia Schwarcz, 16, kommt im nächsten Schuljahr 2022/23 in die achte Klasse des Gymnasiums und Realgymnasiums Stubenbas

Zora Mund, 17, kommt im nächsten Schuljahr 2022/23 in die achte Klasse des Gymnasiums und Realgymnasiums Stubenbastei

Mit dem ganzen Praktikant:innen-Team bei der anthropologischen Abteilung.
Ein Kinderskelett: Zum Glück haben Babies heutzutage bessere Überlebenschancen.
Ein wieder verheilter mittelalterlicher Oberschenkelknochen.
Frühe Operationen: die Nachbildung eines Schädels mit Bohrloch wird uns erklärt.
Inspiration für Halloween-Deko
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