Im Naturhistorischen Museum Wien finden sich in der Dauerausstellung zur Urgeschichte im Saal 11 auch Funde aus den prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen. Was ihr in der Ausstellung oft nicht sehen könnt, jedes Objekt ist mit einer Nummer beschriftet. Diese Nummern wurden zum Teil schon im 19. Jahrhundert vergeben und werden in Inventarbüchern aufgeschrieben. Die ersten Einträge in der prähistorischen Sammlung sind über 140 Jahre alt. Seitdem laufen die Nummern fort und jedes neue Fundstück, das in die Prähistorische Abteilung kommt, wird mit der nächsten freien Nummer inventarisiert. Die ersten von früher sind natürlich noch mit Federkiel und Tinte verfasst und die letzten aus den 1990ern zeitgemäß mit Kugelschreiber.
Wer kennt sie nicht, die alte Schreibschrift?
Unsere alten Inventarbücher im Museum sind natürlich noch in Kurrentschrift, in der alten deutschen Schreibschrift, die heute nicht mehr viele lesen können, einfach weil es nicht mehr notwendig ist. Aber wer mit historischen Quellen arbeitet, muss sich früher oder später damit beschäftigen. Weil es uns Praktikant:innen über die vier Wochen zu beschäftigen galt, musste ich mich der Inventarbücher annehmen. Ich sollte die alten Einträge zu den Pfahlbau-Objekten, welche in den Schausälen ausgestellt sind, in eine digitale Liste übertragen. Dafür muss man sie erst mal lesen können und die Schreibschrift der damaligen Herren entziffern. Mit der Kurrentschrift bin ich schon vertraut, weil ich in meiner Freizeit gern an meinem Stammbaum arbeite und da hat man auch oft mit Dokumenten aus dieser Zeit zu tun.
Von Sammlungsobjekten zu den Sammler:innen
Angefangen bei den ersten Schleifsteinen, Kupferobjekten und Steinäxten begann ich schließlich die Inventarbücher zu wälzen und wie immer bei der Arbeit mit historischen Quellen erfährt man auch etwas über die Zeit der damaligen Forscher:innen. Über Archäologen wie Josef Szombathy, der die Venus von Willendorf 1908 gefunden hat und lange die prähistorische Abteilung leitete, bis er von Josef Bayer abgelöst wurde. Oder auch, über Adlige mit dem schönen Namen Graf Ladislaus Gundacker Wurmbrand-Stuppach (1838-1901). Er hatte sich in seinen Privatstudien mit der Archäologie beschäftigt und dabei 1870 die erste Pfahlbausiedlung im Attersee entdeckt. Seine Sammlung kam ins Naturhistorische Museum. Ein Gros der Einträge wurde von Moriz Hoernes verfasst, einem österreichischen Prähistoriker, der eine Zeit lang an der Uni Wien lehrte. Von 1887 bis 1907 war er am NhM tätig und hat tatkräftig hunderte Gegenstände inventarisiert. Mal schrieb der gute Herr schöner, mal weniger schön, wo auch ich mich an den Archivar des Hauses wenden musste. Sie alle haben fleißig dafür gesorgt, dass wir diese wunderschönen Gegenstände heute wohlgeordnet bewundern dürfen.
140 Jahre alte historische Dokumente
Da es sich bei den alten Inventarbüchern, um historische Dokumente handelt sind einige in einem besseren und andere wiederum in einem weniger gutem Zustand. Oftmals sind Seiten herausgerissen aber zum Glück noch da, wo sie hingehören oder Buchrücken abgenutzt und so sind sie natürlich mit Vorsicht zu behandeln. Andere Abteilungen wie die Anthropologie haben ganz beschlossen die Inventarbücher nicht mehr zu öffnen, weil sie schon in einem schlechten Zustand waren und haben sich Kopien angefertigt, welche jedoch denselben Informationsgehalt haben. Ich durfte, unter Aufsicht, an den originalen Inventarbüchern arbeiten. Nach einem Tag Arbeit hab ich sie behutsam in den Feuerschutzkasten zurückgelegt, damit ihnen über Nacht nichts geschieht. Im Zuge der Digitalisierungsprojekte im Museum werden die Inventarbücher ebenfalls ins neue Zeitalter geholt. Bald kann man damit am Computer arbeiten, alles per Mail verschicken und von überall in der Welt von Zuhause aus daran arbeiten. Der Reiz 140 Jahre altes Papier zwischen den Fingern zu spüren, die schöne Federkielschrift zu bewundern und in den hohen Räumen des herrschaftlichen Gebäudes zu sitzen, kann das jedoch für mich nicht ersetzten.
Neuen Kommentar schreiben