Auch dreieinhalb Jahrzehnte nach den ersten taucharchäologischen Anfängen des „Projektes Bodensee-Oberschwaben“ kommt es vor, dass man auf etwas Neues und Überraschendes stößt. Im Zuge der Grabung vom 09.11.-20.11.2015 am Degersee waren das rundliche, quer gelochte Gebilde aus schlecht gebranntem Ton, die in ungefähr 2m Wassertiefe in einer faserigen Schicht aus langen, gelblichen Stängelchen liegen. Handelt es sich um Webgewichte, haben wir die Relikte eines Webstuhls aufgedeckt? Lässt sich das Fasermaterial als Linum usitatissimum (Lein) bestimmen? Wir kennen aus dem Endneolithikum Dörfer, die offenbar auf die Leinverarbeitung spezialisiert waren. Lein erbringt ein wertvolles Öl, hier läge nun ein Befund zur Faserverarbeitung vor.
Wir arbeiten zur Zeit an der Station Degersee II, die nach absoluten Daten in den Übergang zwischen Jung- und Endneolithikum in die Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. datiert. Wir wissen noch sehr wenig über diese Zeit, in der Zahl der bekannten Fundstellen in Südwestdeutschland stark abnimmt. Oder werden die Dörfer nur weg von den Seeufern auf die Moränenbuckel oder weg von den Seeufern weiter in das Westallgäuer Hügelland verlagert? Spielt der offenbar heftige Klimaausschlag, der nach vielen Beobachtungen etwa in diese Zeit datiert, dabei eine Rolle?
„Degersee II“ steht mit seiner Datierung und seinen Befunden im Zentrum der Fragestellungen des D-A-CH – Projektes „Beyond Lake Villages“. Das von österreichischen, deutschen und schweizerischen Arbeitsgruppen organisierte Forschungsprojekt zielt über die konventionelle „Pfahlbauarchäologie“ hinaus auf die gesamte archäologische Kulturlandschaft. Wir haben in landwärtigen, im Niedermoor liegenden Schnitten verlagerte Lehmböden erfassen können. Pedologische, geochemische, archäobotanische und pollenanalytische Analysen sollen nun prüfen, ob es sich um im Moor versiegelte Relikte von Wirtschaftsflächen handelt. In jedem Fall haben wir es hier aber mit der Schnittstelle aus Wasser und Land, von Wohn- und Feldbauflächen zu tun.
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